Jesus hat Verwandlung im Sinn
Jesus hat Freiheit im Sinn
Wochenbrief 5
Jesus hat Verwandlung im Sinn
Jesus hat Freiheit im Sinn
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
das unbedingte Lieblingsbuch meiner einjährigen Enkelin ist »Die kleine Raupe Nimmersatt« von Eric Carle. Sie hat viel Freude daran, die Fingerchen in die kleinen Löcher zu stecken, die die Raupe bei ihrem Durchfressen durch allerlei Obst hinterlassen hat. Aber wenn wir beim Vorlesen und Anschauen an die Stelle kommen, wo die Raupe aus ihrem Kokon schlüpft und als wunderschöner bunter Schmetterling davonfliegt, kennt Sophies Begeisterung keine Grenzen. Immer wieder muss der Schmetterling mit den farbenprächtigen Flügeln schlagen und über unseren Köpfen hin und her flattern, dann ist sie selig.
In der Antike war der Schmetterling ein Sinnbild für die unsterbliche Seele des Menschen − das griechische Wort »Psyche« bedeutet sowohl Seele als auch Schmetterling. Und die Lehrer des frühen Christentums haben im Schmetterling ein Symbol für die Auferstehung Jesu gesehen: So wie sich die Raupe zur starren, leblosen Puppe verwandelt, aus der dann aber ein schöner, farbenfroher Schmetterling schlüpft, so steht auch für Jesus am Ende nicht der Tod, sondern neues Leben.
Der erste Sonntag nach Ostern macht das aufs Neue deutlich. Er trägt den liturgischen Namen »Quasi-modo-geniti«: Wie die neugeborenen Menschenkinder. Wie Kinder, mit ebensolcher Freude und Begeisterung dürfen wir auch als Erwachsene leben, mit solcher Hingabe und solchem Vertrauen — dazu sind wir bestimmt und von Ewigkeit her gerufen.
»Ich habe Schmetterlinge im Bauch« — sagt man heute, wenn man sich so richtig glücklich fühlt, wenn man die ganze Welt umarmen und vor Freude hüpfen möchte. »Schmetterlinge im Bauch« haben Verliebte — und fühlen sich von einem neuen Frühling erfüllt, wie beim Aufbrechen einer Rosen-Knospe. Neues Leben kündigt sich an, beschwingt, erfreut, bewegt, belebt.
In Menschen ist Vieles verborgen. Viel Leben und so manches Leid. Und je nachdem, was uns widerfährt, kann das Leben entflammt werden und zu blühen beginnen, wie die Freude eines kleinen Kindes am bunten Schmetterling. Es kann aber auch geschehen, dass nicht Freude, sondern seelische Verletzungen und Wunden aus unglücklichen Lebenstagen hervorbrechen – Erfahrungen, tief eingegraben in verschlossene Ecken des Bewusstseins und abgespeichert in der Abteilung »Selbstzweifel, Scheitern, Gewissensnöte«.
Wenn unerwartet ein anderer Mensch an diese gut abgeschirmte Welt von Schmerz und Elend stösst, bricht die Schutzmauer ein und alles Weh bricht auf wie eine Explosion, die verwüstet. »Flash back« nennt die Psychologie solches. Blitz und Donner, genährt aus Vergangenem, aus nie geheilten Wunden. Und der davon betroffene Mensch verliert sich in Wut, Hass, selbst Feindschaft… — dies alles von aussen gesehen ohne wirklichen Grund. Anlass war etwas Harmloses, das beängstigende Energien freisetzt. »Flash back« — nicht nur der Mensch, in dessen verborgenen Abgründen sich diese atomare Reaktion abspielt, wird versehrt, auch sein Umfeld wird von Trümmerteilen getroffen und verletzt.
Ostern freilich ist das Gegenteil. Hier hat Gott in der Menschenwelt »ein Wetterleuchten aus der Zukunft« inszeniert: »Flash ahead« oder »Flash forward« — wir werden gepackt von dem, was uns entgegenkommt und uns mit einer Zukunft verbindet, die es erst noch geben wird: Lebendigkeit und Zuversicht. »Flash ahead« — von Hoffnung »infiziert« lebst du ganz frei und offen für die radikale Erneuerung des Lebens, deines eigenen und des Lebens, mit dem du verbunden bist.
Wie ein Spiegel dieser Osterperspektive zeigt sich die Geschichte einer unerwarteten Entdeckung. In der Regensburger St. Jakobskirche steht ein eindrucksvolles spätgotisches Kruzifix aus dem 14. Jahrhundert. Vor einigen Jahren musste es restauriert werden, dabei hat man eine sensationelle Entdeckung gemacht: Im Hinterkopf des Gekreuzigten sind die Restauratoren plötzlich auf einen kleinen Hohlraum gestossen, und in diesem Hohlraum haben sie einen Schmetterling gefunden, etwa 4x5 Zentimeter gross, aus vergoldetem Silber, die Fühlerspitzen aus echten Perlen, die Flügel farbenprächtig emailliert. Auf dem Rumpf des Schmetterlings ist noch einmal Christus am Kreuz zu sehen, auf dem rechten Flügel Maria, auf dem linken der Lieblingsjünger Johannes.
Was hat dieser Schmetterling im Hinterkopf Jesu zu suchen?
Das kann man so verstehen: Jesus hat Verwandlung im Kopf. Gott hat ihm in den Kopf gesetzt, uns aus unserer Verpuppung, aus allem Erstarrten herauszuholen und zu neuen Menschen zu machen. Er möchte, dass wir abstreifen, was uns an vergangenes Unheil fesselt; loslassen, was uns einengt und lähmt; was an uns verknöchert ist; abstreifen, was uns spröde und blutleer macht − und damit auch hart gegen andere. Er lässt sich etwas einfallen, damit wir herausschlüpfen aus dem Gefängnis unserer Lethargie, unserer Resignation und unserer Gewohnheiten, in die wir uns selbst eingesponnen haben. Er will alle »flash back«-Erlebnisse zum Aufhören bringen, indem er uns von der Vergangenheit löst und mit der Zukunft verbindet.
Jesus hat Freiheit im Kopf: Er sieht, was uns belastet und niederdrückt. Er weiss um unsere Krankheiten; um enge und kleinliche Gesetze, die uns das Leben schwer machen; um Ausgrenzungen und Demütigungen, denen wir ausgesetzt sind. Und er will, dass unser Leben leicht und unbeschwert wird. Er möchte uns − im wahrsten Sinn des Wortes − beflügeln, uns ermuntern, so dass wir beschwingt und froh leben können. Er will uns Lasten abnehmen und zur Sorglosigkeit der Kinder Gottes befreien.
Damit wir angesteckt werden — »quasimodo geniti« — zum verwandelten Leben der Kinder Gottes.