Dem Leben standhalten
Impuls 1
Dem Leben standhalten
«Glaubende Menschen erkennt man daran, dass sie standhaft sind in Konflikten. Glaube bewährt sich unter Belastungen. Im Glauben können wir Schwierigkeiten durchstehen, ohne uns verwirren oder gar verbiegen zu lassen.» Das alles klingt gut, aber es ist oft leichter gesagt als getan.
Wem bleibt die Erfahrung erspart, dass wir uns in intensiven Konflikten wie unvermeidlich in die Mechanik des Streites verstricken und unsere Eigenständigkeit verlieren? Und auch in gesundheitlichen Nöten, die von Schmerzen, von Trauer und manchmal auch von Wut begleitet sind, dreht rasch alles nur noch um uns selbst. Solcherlei Schwierigkeiten können Menschen so zusetzen, dass ihnen das ganze Leben nur noch als Kampf vorkommt, in welchem es um Sieg oder Niederlage geht. Ehepartner*innen und Kinder können davon schmerzlich verletzt erzählen … Was daneben auch zum Leben gehört, was uns immer noch möglich bleibt und offensteht, nehmen wir kaum mehr wahr.
Wenn «Glaube» nicht mehr ist als ein angenehmer und freundlicher Mantel, den man sich nach eigenen Wünschen geschneidert hat, um sich bei Bedarf damit einzukleiden, wird man ihn umso rascher fallen lassen, wenn es «zu heiss» wird — und desto schonungsloser zeigt sich, was unter diesem Mantel vorhanden ist. In der Sprache der Bibel werden solche Situationen, in denen es um Belastungen bis an die Grenzen geht, «Versuchung» genannt: ihnen erliegen, fällt leicht.
Wir brauchen unbedingt einen Glauben, der mehr ist als Oberfläche, die verhüllt, und mehr als Maske, die man je nach Situation aufsetzt oder abnimmt.
Wir brauchen «etwas», das uns von innen her trägt. Wir brauchen, gerade wenn es schwierig wird, etwas, das von innen her da ist, leuchtet, Orientierung gibt, Besonnenheit schenkt. Glaube kann auf diese Weise eine Art Ressource sein, eine Kraft, die aus sich heraus wirkt, in der wir uns verankern können, die uns einen klaren Blick und Standfestigkeit schenkt.
Jesus macht im Johannes-Evangelium anschaulich, wie wir zu solchem Glauben, zu solcher Standhaftigkeit finden. Er sagt es mit einem Bild: «Ich bin der Rebstock, ihr seid die Schosse. Wer an mir bleibt, und ich in ihm, der bringt viel Frucht; ohne mich könnt ihr nichts tun.” (Joh. 15,5). Eine herrliche Erscheinung in der Natur ist der Rebstock mit seinen Schösslingen, an denen im Sommer die köstlichen Trauben reif werden. Und zugleich ein einleuchtendes Bild für den Glauben, der in uns Standhaftigkeit wirkt: Da ist die Mitte des Lebens, die Quelle der Lebenskraft, die in alle Triebe ihre Kraft fliessen lässt!
Glauben ist also ein Wort für unser lebensnotwendiges Verbunden-Sein: «Ich bin die Rebe, ihr seid die Triebe». Solange wir verbunden sind mit der Mitte des Lebens, gehören wir zu Ihm und erleben, welche Lebenskraft uns zufliesst und uns unabhängig macht von dem, was uns bedroht und in Frage stellen möchte. So wie Gott in Jesus unmittelbar gegenwärtig ist, so will Jesus in jedem Menschen gegenwärtig sein und wirken.
Wo uns dies bewusst wird, da beginnt unsere Standhaftigkeit. Wir wissen, wer wir sind: Zweige an Gottes «Lebensbaum» (so heisst der Rebstock in der Paradies-Erzählung) und deshalb dazu begabt, auch für andere Menschen zum Rebstock zu werden. Je tiefer und öfter wir uns dies vergegenwärtigen, desto stabiler und standhafter werden wir und halten auch bedrohlichen Stürmen des Lebens stand.