Manchmal schlägt das Leben gnadenlos zu
Wochenbrief 6
Manchmal schlägt das Leben gnadenlos zu
Da ist ein junges Paar, seit Jahren miteinander verbunden. Die Studien sind abgeschlossen, die beruflichen Aussichten mehr als gut. Jetzt wäre Familienplanung dran… – stattdessen der Riss: Eine diagnostizierte Erbkrankheit bringt alles ins Wanken. Wenn einem oder zweien der ganze Einsatz unter den Händen zerrinnt – wie lebt man damit weiter?
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, mit Gott verbinden wir Gutes: Schutz und Segen. Darum bitten wir. Daran halten wir uns. Das weckt aber manchmal auch Erwartungen, die das Leben nicht erfüllt. Die Bibel erzählt uns von überraschender Gotteserfahrung: In einer Weise, in der wir es nicht erwarten.
In den frühchristlichen Schriften findet sich ein Gleichnis-Text, der auf den historischen Jesus zurückgeht. Gefunden wurde er erst 1945 in Ägypten in einer Sammlung von Handschriften, die älter sind als die neutestamentlichen. Er mutet wie ein Rätselwort an.
Jesus sprach: Die Königsherrschaft Gottes ist gleich einer Frau, die auf ihrem Kopf einen Krug voller Mehl trug. Als sie so die Strasse entlang zog, noch ein Stück Weges von zuhause entfernt, brach der Henkel des Kruges ab und das Mehl rieselte hinter ihr heraus auf den Weg. Sie jedoch bemerkte nichts und wusste nichts von ihrem Missgeschick. Als sie ihr Haus erreichte, setzte sie den Krug ab – und fand ihn leer.
Eine Weg-Geschichte mit überraschendem Ende ist das. Und nicht nur überraschend und befremdlich erscheint dieses «Logion» aus dem Thomasevangelium, sondern geradezu provokativ: Mit so etwas soll die ersehnte Königsherrschaft Gottes, der Himmel auf Erden, zu vergleichen sein? Ist das Reich Gottes also eine umwerfende Enttäuschung, etwas, das es bei näherem Hinsehen gar nicht gibt, das uns wie Sand zwischen den Fingern zerrinnt? Da war diese Frau kilometerweit gelaufen – und alle Mühe war umsonst? Soll sie den ganzen Weg nochmals unter die Füsse nehmen? Dazu der Ärger mit dem zerbrochenen Krug! Ein unbeschädigter muss erworben werden, bevor sie neues Mehl einfüllen kann.
Drei Gedanken zu diesem sonderbaren Gleichnis möchte ich mit Ihnen teilen. Zum einen: Das Reich Gottes besteht tatsächlich aus Enttäuschung – und zwar aus «Ent-Täuschung» im wahren Wortsinn. Worin haben wir uns getäuscht? Darin, dass wir erwarten, Gott vor allem im gelungenen Leben zu finden. Dort scheint uns «Segen» zu sein. Jesu Gleichnis meint: Gott wirkt überraschend anders, als wir es uns gemeinhin zurechtlegen. In der Ent-Täuschung unserer (Lebens-) Erwartungen zerbrechen und zerrinnen unsere menschlichen Gottesbilder — und es tut sich ein Raum auf, in dem wir IHM selbst begegnen.
Das Zweite: Gott wirkt im Verborgenen, seine Königsherrschaft setzt sich auch gegen den Anschein durch. Die Frau bemerkt merkt lange nicht, was sich da mit ihr ereignete. Vermutlich haben Sie in der Rückschau auf Ihr eigenes Leben Ähnliches erfahren: Im Hier und Jetzt schien oft genug Gottesferne zu herrschen. Wir konnten nicht behaupten, den Himmel auf Erden zu erleben. Erst im Nachhinein erschloss sich das Erlebte womöglich als Ort oder Umstand, in dem Gott handelte. Gott wirkt im Verborgenen, im Unspektakulären, sogar im sogenannten «Frust» wie im Gleichnis – und sogar an einem Schandpfahl wie dem Kreuz auf Golgotha. Den Zuschauenden zeigen sich Verlust und Tod – und doch wirkt dieser Gott – mit einem Geist, der weht, wo er will, und uns als Tröster umgibt.
Liebe Freund*innen, das Reich Gottes ist nicht wie eine Frau, die den Schlüssel für eine gefüllte Vorratskammer (an Glück) mit sich trägt. Sondern wie eine Frau, die mit einem vollen Krug auszog und am Ende mit leeren Händen dasteht. Damit sind wir beim dritten Gedanken: Gott ist mit uns in der Kraft, die er uns für jeden Tag gibt, nicht im Anlegen von Depots. In den leeren Händen und durch die Wunden hindurch, die das Leben uns schlägt, entsteht Raum für Sein Wirken.
Paulus sagt es so (2. Korinther 4,7ff): Wir haben diesen Schatz (der heilenden Gotteskraft) in irdenen (zerbrechlichen) Gefässen, damit das Übermass der Kraft von Gott sei und eben nicht aus uns selbst… Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht… Allezeit tragen wir das Sterben Jesu an unserem Leib umher, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde.
In unsere Lebenszusammenhänge übersetzt heisst das: An den Grenzen unserer Kraft, geht uns auf, dass Gottes Kraft immer da war. In Angst und Bedrängnis (also, wenn ich nichts mehr «machen» kann), verliere ich mich nicht. In Jesus Christus hat Gott den Abgrund durchschritten – und hält mich auch dort, so dass ich dem Leben, so wie es (geworden) ist, standhalte.
Ein solches «Standhalten» beschönigt nichts, sondern nimmt wahr, was jetzt da ist. Es blendet die Einsamkeit nicht aus, es wischt die Angst nicht weg. Sondern weist – trotz allem – auf Möglichkeiten von verändertem Leben hin. Wo vieles zerfällt und zerrinnt, kann zugleich Raum entstehen für Neues. Darin finde ich die Kraft (wie die Frau im Gleichnis) jeden Tag neu aufzubrechen, um mir meinen Lebenskrug von IHM füllen zu lassen. Und mir geht auf: Auch wenn Vieles zu Ende ist, ist das nicht das Ende des Lebens, vielmehr ein neuer Anfang.
In diesem Sinn fährt Paulus fort (2. Korinther 4,16ff): Wenn auch unser äusserer Mensch verfällt, so wird doch der innere Tag für Tag erneuert. Inmitten unserer sichtbaren Schwäche und Bedrängnis schafft uns Gott eine ewige und über alle Massen gewichtige Herrlichkeit – uns, die wir nicht auf das Sichtbare schauen, sondern auf das äusserlich nicht Wahrnehmbare – auf das Verborgene, das sich im Unsichtbaren durchsetzt: die Gegenwart Gottes, der uns schon immer sucht und erwartet.