Gott loben, das ist unser Amt
Wochenbrief 7
Gott loben, das ist unser Amt
Erkennt, dass Gott ist unser Herr,
der uns erschaffen ihm zur Ehr,
und nicht wir selbst: durch Gottes Gnad
ein jeder Mensch sein Leben hat.
Er ist voll Güt und Freundlichkeit,
voll Lieb und Treu zu jeder Zeit.
Sein Gnad währt immer dort und hier
und seine Wahrheit für und für.
(RG 57, 2+6)
Liebe Freundinnen und Freunde
Gott ist mit uns in der Kraft, die er uns jeden Tag gibt, damit wir uns nicht verlieren in Bedrohung, noch an unerfüllbaren Vorhaben und Plänen hängen-bleiben… — so haben wir letzte Woche verstanden. Ein jüdisches Märchen vertieft diesen Gedanken:
In der Hauptstadt seines Landes lebte ein guter und gerechter König. Oft verkleidete er sich und ging unerkannt durch die Strassen, um zu erfahren, wie es mit seinem Volk stand. Eines Abends geht er vor die Tore der Stadt. Er sieht aus einer Hütte einen Lichtschein fallen und erkennt durch das Fenster: ein Mann sitzt allein an seinem zur Mahlzeit bereiteten Tisch und ist gerade dabei, den Lobpreis zu Gott zu singen: «Dich segnen wir, Gott, König aller Lebenszeit, für das Brot, das du auf der Erde wachsen lässt, und für die Früchte, die die Pflanzen tragen.»
Als er geendet hat, klopft der König an die Tür: «Darf ein Gast eintreten?» «Gern», sagte der Mann, «komm, iss mit, mein Mahl reicht für uns beide!» Während des Mahles sprechen sie über dieses und jenes. Der König — unerkannt — fragt: «Wovon lebst du? Was ist dein Gewerbe?» «Ich bin Schuhmacher», antwortete der Mann. «Jeden Morgen gehe ich mit meinem Handwerkskasten durch die Stadt und die Leute bringen mir ihre Schuhe zum Flicken auf die Strasse.» Der König: «Und was wird morgen sein, wenn du keine Arbeit bekommst?» «Morgen?» sagte der Schuster, «Morgen? Gott sei gepriesen Tag um Tag!»
Als der Schuster am anderen Tag in die Stadt geht, sieht er überall angeschlagen: «Befehl des Königs! In diesen Wochen ist auf den Strassen meiner Stadt jede Flickschusterei verboten!» Sonderbar, denkt der Schuhmacher. Was doch Könige für seltsame Einfälle haben! Nun, dann werde ich heute Wasser tragen; Wasser brauchen die Leute jeden Tag.
Am Abend hatte er so viel verdient, dass es für beide zur Mahlzeit reichte. Der König — wieder zu Gast — sagt: «Ich hatte schon Sorge um dich, als ich die Anschläge des Königs las. Wie hast du dennoch dein Geld verdienen können?» Der Schuster gab Bescheid. Der König: «Und was wird morgen sein, wenn du keine Arbeit findest?» «Morgen? Gott sei gepriesen Tag um Tag!»
Noch zweimal vereitelt der König die Arbeit des Gerechten, lässt ihn schliesslich im Palasthof Wache stehen – und wundert sich, dass Abend für Abend das Mahl bereitet ist. Verschmitzt erzählt der Schuster, wie er dem Krämer das Stahlschwert als Pfand gelassen und dafür ein Holzschwert gefertigt habe.
«Und was wird morgen sein, wenn der Hauptmann die Schwerter inspiziert?» «Morgen? Gott sei gepriesen Tag um Tag!»
Als der Schuster am anderen Tag den Palasthof betritt, kommt ihm der Hauptmann entgegen, an der Hand einen gefesselten Gefangenen: «Das ist ein Mörder. Du sollst ihn hinrichten!» «Das kann ich nicht», rief der Schuster voll Schrecken aus. «Ich kann keinen Menschen töten!» «Doch, du musst! Befehl des Königs!»
Inzwischen hatte sich der Palasthof mit vielen Neugieren angefüllt, die alle die Hinrichtung eines Mörders sehen wollten. Der Schuster schaute in die Augen des Gefangenen. Ist das ein Mörder? Dann warf er sich auf die Knie und mit lauter Stimme, so dass alle ihn beten hörten, rief er: «Gott, du König des Himmels und der Erde! Wenn dieser Mensch ein Mörder ist und ich ihn hinrichten soll, dann mach, dass mein Schwert aus Stahl in der Sonne blitzt! Wenn aber dieser Mensch kein Mörder ist, dann mach, dass mein Schwert aus Holz ist!» Alle Menschen schauten atemlos zu ihm hin. Da zog er das Schwert, hielt es hoch – und siehe: es war aus Holz. Gewaltiger Jubel brach aus.
In diesem Augenblick kam der König von der Freitreppe seines Palastes, ging geradewegs auf den Schuhmacher zu, gab sich zu erkennen, umarmte ihn und sagte: «Von heute an sollst du mein Ratgeber sein!»
Die Beziehung zu Gott, die mit Lob und Dank beginnt, bewahrt uns davor, in schwierigen, unangenehmen, ja bedrohlichen Lebensumständen nur das zu sehen, was uns Mühe macht. Diese Beziehung nennen wir Glauben. Von ihm getragen und geleitet lernen wir, die Welt mit den Augen Gottes zu schauen, unsern Blick zu weiten über Ärger und Verzweiflung hinaus. So beginnen wir, die Möglichkeiten wahrzunehmen, die es gibt — neben allem, was uns einschränkt und den Lebensmut abzuschneiden droht. Auch dann, wenn Umstände oder Menschen unsere ganz normalen Vorhaben zu einem guten Leben durchkreuzen, müssen wir nicht zwingend zu “Opfern” werden, noch gar uns selber so nennen. In der Beziehung zu Gott, im Glauben, den wir Tag für Tag im Danken und Loben einüben, entdecken wir:
Glaube ist der Sinn für das Mögliche, der über das aktuell uns Fordernde und Bestimmende hinausgreift. Gott wird immer die Ahnung nähren und stärken, dass diese Wirklichkeit nicht alles ist. Die Welt muss nicht bleiben, was sie uns zu sein scheint: ihr ist die Verwandlung ins Reich Gottes verheissen. Wir haben nicht nur viele gute Gründe Gott zu loben und zu danken, wir brauchen dieses Weiten unseres Blickes, damit wir nicht unter unseren Möglichkeiten bleiben und klein beigeben — denn (Jesaja 40,31):
Die auf den HERRN hoffen, empfangen neue Kraft,
wie Adlern wachsen ihnen Flügel.
Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt.
Liebe Schwestern und Brüder, im Blick auf die Welt und im persönlichen Alltag gibt es auch viele Anlässe, müde und matt zu werden. Wir haben gelernt, uns «zu bescheiden» und dass wir «zu klein» sind, um Grosses zu bewegen. Es ist aber nicht Gott, der uns klein und bescheiden hält, sondern es sind wir selbst. Und so kann es geschehen, dass unser Leben verrinnt und wir tatenlos zusehen.
Gott aber gibt sich damit nicht zufrieden.
Er lässt uns «Flügel wachsen wie Adlern» und eröffnet uns jeden Tag die Möglichkeit, unsere Lebenszeit zu gestalten.