Wochenbrief 10

Ein Stückchen «Bauhaus»-Geschichte und eine biblische «Hausbau» .…

Wochenbrief 10

Ein Stückchen «Bauhaus»-Geschichte und eine biblische «Hausbau» .…

Der rote Turm (1917–1918) — Johan­nes Itten -

Lie­be Schwes­tern und Brü­der im Glauben

Wel­che inne­re Ein­stel­lung lei­tet unser Han­deln? Das ist eine unver­zicht­ba­re Fra­ge, wenn wir, zum Bei­spiel in Kri­sen­zei­ten, gemein­sam Wege suchen, um im Leben zu bestehen und uns zum Guten zu ent­wi­ckeln — für uns selbst und als Gemein­schaft. Dabei spie­len seit 2000 Jah­ren bibli­sche Geschich­ten eine wich­ti­ge Rol­le: Im Wei­ter­erzäh­len ler­nen wir Ver­hal­tens­wei­sen frü­he­rer Gene­ra­tio­nen ken­nen und erfah­ren zugleich Mög­lich­kei­ten, wie wir uns heu­te ori­en­tie­ren kön­nen. Eine der­ar­ti­ge Erzäh­lung ist jene vom Bau des gros­sen Tur­mes in Babel. In ihr wird sicht­bar, wie mensch­li­che Selbst­über­schät­zung in die Irre führt und bedroh­lich wer­den kann.

»Nach uns die Sint­flut!«, rie­fen die Men­schen vor der Flut — und nach der Flut machen sie fröh­lich wei­ter, wie vor der Flut, und rufen erneut: »Nach uns die Sint­flut!« Erst waren es die Töch­ter des Men­schen, die Super-Kin­der gebä­ren woll­ten: nur die Bes­ten, Schöns­ten, Kräf­tigs­ten soll­ten die Zukunft bestim­men  (1. Mose 6,1–4). Und nun sind es die Söh­ne, die auf eine gefähr­li­che Grenz­über­schrei­tung zusteu­ern (1. Mose 11,3–4): »Wohl­auf, lasst uns Lehm strei­chen und Zie­gel bren­nen! Wohl­auf, lasst uns eine Stadt mit einem Turm bau­en, des­sen Spit­ze bis zum Him­mel reicht, auf dass wir uns einen Namen machen! Das gibt uns Zusam­men­halt, sonst wer­den wir zer­streut über die gan­ze Erde.«

Wäh­rend die Söh­ne fürch­ten, ihre gewohn­te Gemein­schaft könn­te sich auf­lö­sen, ist es umge­kehrt gera­de Got­tes Absicht, dass sich Völ­ker auf der Erde ver­tei­len, um sie urbar und bewohn­bar zu machen. Doch den Söh­nen fehlt der Mut zu Eigen­stän­dig­keit und Frei­heit, lie­ber ver­schan­zen sie sich in einer Stadt mit Mau­er und Turm. Denn nütz­lich schien, was ihnen ver­traut war: »Die Söh­ne der Men­schen aber kann­ten nur eine ein­zi­ge Spra­che, die von allen gespro­chen wur­de« — in die­sen Wor­ten liegt der ver­füh­re­ri­sche Klang von Heim­weh und Sehn­sucht nach den Tagen von einst: »So gut war es doch frü­her! Jetzt ist alles anders!« Was war passiert?

Die Söh­ne der Men­schen haben ihr Men­schen­mass über­schrit­ten. Sie stürm­ten den Him­mel. Sie ver­such­ten, Gott aus­zu­ste­chen: »Wohl­auf, lasst uns…« In ihrem von Angst genähr­ten Hoch­mut woll­ten sie nicht län­ger dar­an erin­nert wer­den, wem sie alles ver­dan­ken; viel lie­ber woll­ten sie selbst (wie) Gott sein. So bau­ten sie die Stadt »Babel« — die »Pfor­te Got­tes«. Ihre Stadt soll­te der Mit­tel­punkt der Erde sein, das Herz des Welt­alls. Im Zen­trum ihrer Stadt soll­te sich ein Turm so hoch wie der Him­mel erhe­ben. Nur weni­ge Augen­bli­cke noch und sie wür­den durch die Him­mels­pfor­te ein­tre­ten und sich an die Stel­le des Höchs­ten setzen!

Und Gott sah’s sich von oben an, mit wachem Blick. Und er sah Anmas­sung, törich­te Arro­ganz, Angst. Respekt, Ach­tung, Ver­trau­en — all das war ver­schwun­den. »Und das ist erst der Anfang! dach­te Gott. Sie sind wirk­lich zu allem fähig, die Men­schen­kin­der! Gleich kom­men sie auch noch hier her­auf! Wohl­auf, lasst uns hin­ab­fah­ren und dafür sor­gen, dass sie in ver­schie­de­nen Spra­chen reden und ein­se­hen müs­sen, dass sie ein­an­der nicht verstehen.«

Schel­misch klingt das: »Wohl­auf…« Gott äfft die Men­schen nach! »Wohl­auf, lasst uns hin­ab­fah­ren und ihr Gebil­de aus der Nähe betrach­ten…« Das Mam­mut­pro­jekt der mensch­li­chen Selbst­er­hö­hung war vom Him­mel aus tat­säch­lich kaum zu sehen. Gott muss­te hin­ab­stei­gen, um zu sehen, was es genau darstelle. 

Babel mag zwar auf baby­lo­nisch »Pfor­te Got­tes« heis­sen, in den Ohren Isra­els, das die­se Geschich­te im Exil ken­nen­lern­te, klingt es eher wie das Wort Ver­wir­rung. »Pfor­te Got­tes? Gebab­bel, meinst du wohl!«, spot­te­ten die Depor­tier­ten. Im Exil las­sen sich die Kin­der Isra­els von Babels Mam­mut-Bau­wer­ken nicht beein­dru­cken. Sie wis­sen, dass es Mach­wer­ke eines ver­bre­che­ri­schen Staa­tes sind, der schein­bar Frie­den (eigent­lich aber angst­er­füll­tes Schwei­gen) stif­tet, indem er Völ­ker unter­wirft; der ober­fläch­lich Ein­heit (eigent­lich aber tie­fes Miss­trau­en) schafft, indem er Wider­stand blu­tig nie­der­schlägt. Bei Gott, das kann kei­ne Stadt sein, wie sie der Schöp­fer vor Augen hat­te, als er Adam und Eva erschuf und als er Noah und den Sei­nen fes­ten Grund unter den Füs­sen gab!

»Und sie hör­ten auf, die Stadt zu bau­en, und wur­den von dort in alle Län­der der Erde zer­streut« — denn Gott will die Viel­falt des Lebens, nicht been­gen­de, aus­gren­zen­de und alle Leben­dig­keit ver­hin­dern­de Ein­heit. Sol­che »Ein­heit« – dafür ken­nen wir unzäh­li­ge Bei­spie­le in der Geschich­te – war und ist immer nur durch Grös­sen­wahn und bru­ta­le Macht­aus­übung zu hal­ten. Auf Kos­ten Ein­zel­ner. Auf Kos­ten der Menschlichkeit.

Der Schwei­zer Maler und Kunst­päd­ago­ge Johan­nes Itten (1888–1967) — und mit ihm die gesam­te Bau­haus-Kunst der 1920er und 1930er Jah­re — steht für die Viel­falt und Bunt­heit des Lebens. Sei­ne Bil­der zei­gen die je eige­ne Wir­kung von Far­be, Form und Mate­ria­li­en und füh­ren in eine bis dahin nicht gekann­te Frei­heit — weder in der Kunst noch in ande­ren Lebens­be­rei­chen der Men­schen. Fol­ge­rich­tig wur­de sol­cher­lei Aus­druck von Lebens­freu­de und Lebens­viel­falt von denen als stö­rend, ja, als »ent­ar­tet« bezeich­net und getilgt, deren Ziel es war, das Leben in Staat und Gesell­schaft zu ver­ein­heit­li­chen und mit ihrer ein­för­mi­gen Art des Den­kens »gleich­zu­schal­ten«. 1933 wur­de das »Bau­haus« von den Nazis zur end­gül­ti­gen Selbst­auf­lö­sung gezwungen.

Gesche­hen ist genau das Gegen­teil: die Bau­haus-Ideen wur­den über die gan­ze Erde ver­brei­tet. Vie­le Bau­haus­mit­glie­der emi­grier­ten aus Deutsch­land nach Ost und West: nach Russ­land und Asi­en, Nord- und Süd­ame­ri­ka — und tru­gen so zur inter­na­tio­na­len Ver­brei­tung die­ser krea­ti­ven Kunst­schu­le bei.

Johan­nes Itten ging zunächst in die Nie­der­lan­de. Kurz vor sei­ner geplan­ten Wei­ter­rei­se in die USA erhielt er den Ruf an die Kunst­ge­wer­be­schu­le Zürich, die er bis 1954 als Direk­tor lei­te­te. Die Bau­haus-Kunst gilt als Avant­gar­de der Klas­si­schen Moder­ne auf allen Gebie­ten der Kunst und Archi­tek­tur und wirkt bis heu­te weiter.

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