Impuls 7

EIN BLICK DURCH DEN TÜRSPALT IST UNS GEWÄHRT

Impuls 7

EIN BLICK DURCH DEN TÜRSPALT IST UNS GEWÄHRT

Pre­digt zum Ewig­keits­sonn­tag 2020 — Psalm 97,11

Lie­be Schwes­tern und Brü­der im Glauben

»Licht ist gesät dem Gerech­ten und Freu­de den von Her­zen Auf­rich­ti­gen« — die­ses Wort aus Psalm 97 möch­te ich heu­te mit Ihnen tei­len, die Sie in den ver­gan­ge­nen Wochen und Mona­ten Abschied neh­men muss­tet von einem gelieb­ten Menschen.

»Licht ist gesät dem Gerech­ten und Freu­de den von Her­zen Auf­rich­ti­gen« — darf ich Sie zunächst ganz ein­fach dar­auf hin­wei­sen, dass, räum­lich gese­hen, Licht immer von oben zu uns kommt, und dass alle, die zum Licht gelan­gen wol­len, sich auf­rich­ten und auf­bli­cken müs­sen? Unten und inwen­dig im Men­schen ist das Dun­kel, aus­sen und oben ist das Licht — so stellt es sich auf Erden dar.

Und wie Men­schen den­ken und reden, wel­che sich von Got­tes Licht bestim­men und lei­ten las­sen, das möch­te ich Ihnen an einem kur­zen Abschnitt aus jener Pre­digt zu hören geben, die der ame­ri­ka­ni­sche Pfar­rer und Bür­ger­recht­ler Mar­tin Luther King gehal­ten hat — am Abend vor sei­ner Ermor­dung durch Ras­sis­ten. Er sagte:

Ich weiß nicht, was nun gesche­hen wird. Wir gehen schwie­ri­gen Zei­ten ent­ge­gen. Aber das spielt für mich jetzt kei­ne Rol­le mehr. Denn ich war am Gip­fel des Ber­ges. Wie jeder Mensch wür­de ich ger­ne ein lan­ges Leben haben, und ein lan­ges Leben hat sei­ne Berech­ti­gung. Aber um das küm­me­re ich mich jetzt nicht. Ich will nur Got­tes Wil­len tun. Und Er hat mir erlaubt, auf den Gip­fel des Ber­ges zu stei­gen, und ich habe auf die ande­re Sei­te gese­hen. Ich habe das Gelob­te Land gese­hen. Ich wer­de viel­leicht nicht mit euch dort­hin gelan­gen. Aber ich möch­te, dass ihr heu­te wisst, dass wir, als ein Volk, das Gelob­te Land errei­chen wer­den. Und ich bin glück­lich, heu­te. Ich bin nicht besorgt. Und ich fürch­te mich vor kei­nem Men­schen. MEINE AUGEN HABEN DIE HERRLICHKEIT DES KOMMENDEN HERRN GESEHEN. (Mar­tin Luther King, am 3. April 1968, in Memphis)

Lie­be Gemein­de, auch uns ist im Leben meist nicht mehr gege­ben als eine beschränk­te Sicht, sozu­sa­gen bis zum nächs­ten „Rank“. Aber von Gott ler­nen wir für unser Leben die­se gross­ar­ti­ge Aus­sicht:  Das Böse hat kei­ne Zukunft, auch wenn es gegen­wär­tig kraft­voll erscheint; das Gute wird erblü­hen und unge­hin­dert alles Leben umfassen.

Nicht mehr als die­se Aus­sicht ist uns eröff­net, aber damit zugleich nicht weni­ger als die Gewiss­heit, dass es mit uns Men­schen und für uns Men­schen gut wird. Der Zeit und dem Leben, die Gott erschafft, ist die­se Zuver­sicht ein­ge­sät wie ein Licht. Es wächst, zwar im Ver­bor­ge­nen, aber es wächst und wird sich aus­brei­ten. So wie es jetzt schon auf den Gesich­tern von Freun­din­nen und Freun­den Got­tes sicht­bar ist: »Licht ist gesät den Gerech­ten und Freu­de den von Her­zen Aufrichtigen«.

So steht es also um uns, lie­be Chris­tin­nen und Christen.

So ste­hen wir da als Glau­ben­de, wie Kin­der vor der Tür zum fest­lich geschmück­ten Zim­mer, die nur gera­de einen Spalt breit offen ist. Chris­ten sind Men­schen vor dem Türspalt!

Noch sind wir vor der Tür, aber wir haben einen Aus­blick auf das, was hin­ter der Tür auf uns war­tet: Glanz und Freu­de, Wohl­klang und Hel­le in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft zu dem Schmerz, den wir hier sehen und erle­ben. Die Per­spek­ti­ve, das, wor­auf hin wir hin­durch­schau­en, ist ein Leben im Licht – für alle Menschen!

Der von Bert Brecht einst so klä­rend benann­ten Zwei­tei­lung der Lebens­welt, wie er sie for­mu­liert, ist eine Gren­ze gesetzt: die­se irdi­sche gegen­wär­ti­ge Zwei­tei­lung — sie wird ver­ge­hen! In sei­ner Drei­gro­schen­oper sagt er:

Denn die einen sind im Dunkeln
Und die ande­ren sind im Licht.
Und man sieht nur die im Lichte
Die im Dun­keln sieht man nicht.

Das ist die gute Nach­richt, die wir heu­te Mor­gen mit­ein­an­der hören und tei­len dür­fen, das Evan­ge­li­um von Gott: Nein, es geht nicht ein­fach immer so wei­ter mit den Macht­spie­len, mit Gewalt und Aus­nüt­zung zuguns­ten Weni­ger und zulas­ten der gros­sen Mehr­heit. Gott hat dazu längst Nein gesagt. Er will die Unter­bre­chung. Er selbst hat uns vor­ge­macht, dass das mög­lich ist und nötig ist:

Am sieb­ten Tag ruh­te Gott sich aus.
Er mach­te gar nichts und er sag­te auch nichts.
Er freu­te sich nur. Denn er wusste:
Er wür­de nie mehr allein sein.

Auch das ist uns also gege­ben: die Unter­bre­chung. Das Inne­hal­ten und Los­las­sen. Die Zeit zur Freu­de, zum Stau­nen, zum Gegenwärtig-Sein.

Und in Jesus Chris­tus hat Gott für uns die­se Zusa­ge ver­wirk­licht, wie uns die heu­ti­ge Lesung aus dem Mat­thä­us-Evan­ge­li­um (Mat­thä­us 17,1–9) zu hören gibt.

Sechs Tage spä­ter nahm Jesus Petrus, Jako­bus und des­sen Bru­der Johan­nes mit sich und stieg mit ihnen auf einen hohen Berg, wo sie allein waren. Dort ver­än­der­te sich vor ihren Augen sein Aus­se­hen. Sein Gesicht begann zu leuch­ten wie die Son­ne, und sei­ne Klei­der wur­den strah­lend weiß wie das Licht. Auf ein­mal erschie­nen Mose und Elia; die Jün­ger sahen, wie die bei­den mit Jesus redeten. 

Da ergriff Petrus das Wort. »Herr«, sag­te er zu Jesus, »wie gut ist es, dass wir hier sind! Wenn du willst, wer­de ich hier drei Hüt­ten bau­en, eine für dich, eine für Mose und eine für Elia.« Wäh­rend er noch rede­te, kam plötz­lich eine leuch­tend hel­le Wol­ke und warf ihren Schat­ten auf sie, und aus der Wol­ke sprach eine Stim­me: »Dies ist mein gelieb­ter Sohn. An ihm habe ich Freu­de, und auf ihn sollt ihr hören!« Die Stim­me ver­setz­te die Jün­ger so sehr in Schre­cken, dass sie sich zu Boden war­fen, mit dem Gesicht zur Erde. Jesus aber trat zu ihnen, berühr­te sie und sag­te: »Steht auf! Ihr braucht euch nicht zu fürch­ten.« Und als sie auf­blick­ten, sahen sie nie­mand mehr außer Jesus.

 Wäh­rend sie den Berg hin­un­ter­stie­gen, sag­te Jesus zu den drei Jün­gern: »Sprecht mit nie­mand über das, was ihr gese­hen habt, bis der Men­schen­sohn von den Toten auf­er­stan­den ist!«

Lie­be Schwes­tern und Brüder,

das ist eine Geschich­te von ganz eige­ner Art. Es ist die Erzäh­lung von Got­tes unbe­ding­tem Wunsch, das Leben und sei­ne Zukunft in SEINEM LICHT zu zeigen

Und die­ser Wunsch Got­tes ist das gan­ze Evan­ge­li­um. Das ist der Glanz, der durch den Tür­spalt von der Zukunft in unse­re Gegen­wart leuch­tet. So sehr leuch­tet, dass wir davon in neu­es Licht gestellt wer­den. Und die­ses Licht hat ver­wan­deln­de Kraft. Wo das Evan­ge­li­um ins Leben kommt, ver­än­dert sich alles.

Die Zeit bekommt eine Rich­tung, sie wird zum Vor­spiel auf die Erfül­lung. Men­schen ver­trau­en dar­auf, dass sie sich gemein­sam ändern kön­nen, zum Guten ändern können.

Das grie­chi­sche Leit­wort in die­ser Geschich­te ist uns aus vie­len Zusam­men­hän­gen wohl bekannt: «Meta­mor­pho­se». Was uns bekannt und ver­traut war, zeigt sich uner­war­tet und anders. Das Leben, wir Men­schen müs­sen nicht ein­fach blei­ben, wie wir jetzt sind. Ver­än­de­rung ist mög­lich. Meta­mor­pho­se gibt es nicht nur für die Rau­pe, die zum Schmet­ter­ling wird. Auch wir Men­schen sind grund­sätz­lich wand­lungs­fä­hig, kön­nen uns ent­wi­ckeln. Sol­ches geschieht durch Begeg­nung! Alles, was wir dafür brau­chen, gibt uns Gott mit – wenn wir zur Welt kommen.

Wes­halb tun wir uns den­noch so schwer mit Ver­än­de­run­gen im Den­ken und Han­deln? Was hin­dert uns, ein­an­der in ande­rem Licht zu sehen? Fehlt es uns an Begeg­nung, an Über­ra­schung, an der Bereit­schaft, den «cou­rant nor­mal» zu unterbrechen?

In der Tat haben Begeg­nun­gen zwi­schen Men­schen oft ver­än­dern­de Kraft. In wirk­li­chen Begeg­nun­gen neh­men wir ein­an­der wahr. Wir fin­den uns selbst im Blick des andern Men­schen. Und weil der ande­re uns bei sich ankom­men lässt, ver­än­dert sich auch sei­ne Sicht. Und so geschieht etwas mit uns, wer­den wir anders. Wirk­li­che Begeg­nung ist frei von Zwe­cken, kennt kei­ne Gier, nimmt dem und der Andern nichts weg. Ein frei­es Du und ein frei­es Ich fin­den sich. Und wir sind anders als zuvor. Wir leben ein­an­der ent­ge­gen, las­sen uns ein auf Unbe­kann­tes, Frem­des – und es eröff­net sich eine Zukunft.

Gott will uns Men­schen so unmit­tel­bar, so unver­hüllt begeg­nen. Gott will selbst mit uns ein Neu­es wer­den. Des­halb öff­net er die Tür zwi­schen sei­ner künf­ti­gen Welt und unse­rer Gegen­wart. Unse­re Sin­ne dür­fen wahr­neh­men, was Gott für uns berei­tet. Drum wird er in Jesus Chris­tus zum »Imma­nu­el«, zum Gott mit uns Menschen.

Wir sind nicht auf dem Berg Tabor, das war nur den drei Jün­gern Jesu   gegönnt. Wir sind da, in die­ser Welt, in die sie nach der Unter­bre­chung zusam­men mit Jesus wie­der zurück­ge­kehrt sind. Wir aber erfah­ren durch Men­schen, die von Got­tes Blick berührt wur­den, die sei­ne Anre­de emp­fan­gen, dass es die­se Unter­bre­chung gab und wie­der gibt. Durch Jün­ge­rin­nen und Jün­ger Jesu, durch die immense Schar von Zeu­gin­nen und Zeu­gen durch die Jahr­hun­der­te ver­brei­tet sich das Leuch­ten von Got­tes Ant­litz auf mensch­li­chen Gesich­tern und ver­viel­facht sich. Wie durch den zu Beginn zitier­ten Zeu­gen umstür­zen­der Hoff­nung auf ein Leben aus Glau­ben, Mar­tin Luther King.

Wir leben aus der Bezie­hung, die Gott in Jesus Chris­tus zu uns stif­tet. Allein die­se Bezie­hung hat wirk­lich Zukunft. Drum fürch­ten wir uns nicht in Umbrü­chen, schre­cken nicht zurück vor Ver­än­de­run­gen, son­dern neh­men die Ein­la­dung an, uns selbst ver­wan­deln zu las­sen in Zeu­gin­nen und Zeu­gen der Freu­de Got­tes, in Men­schen, die sich auf Sei­ne Zukunft ein­las­sen und nicht län­ger nach Sicher­heit, nach Besitz, nach Fest­hal­ten am Bewähr­ten gieren.

Die Tür ist wie­der geschlos­sen. Noch lau­fen im Ver­bor­ge­nen die Vor­be­rei­tun­gen zum Fest Got­tes mit uns Men­schen. Aber wir haben eine Ahnung davon bekom­men, dass es die­ses Fest der Erfül­lung geben wird. Und wir wis­sen, dass Gott mit uns ist.

Und je mehr wir von die­sem Wis­sen gelei­tet und ermu­tigt die „Herr­lich­keit des Herrn schau­en“, die wir jetzt gespie­gelt in der Tabor-Geschich­te und wider­ge­spie­gelt in den Gesich­tern von Gott ver­trau­en­den Men­schen sehen, umso mehr wer­den wir sel­ber, wird unser gan­zes Wesen so umge­stal­tet, dass wir ihm immer ähn­li­cher wer­den und das Licht wei­ter­leuch­ten machen für­ein­an­der, auch für die Men­schen, die uns Mühe machen.

Dann wird an uns wahr, was Jesus Chris­tus uns ver­heisst (Johan­nes-Evan­ge­li­um 5,24–25)

Gott sagt dei­nem Herzen:
Wenn du Recht übst, wird die Erde neu.
Wenn du Lie­be tust, wird das Licht vermehrt.
Fürch­te dich nicht, ich bin mit dir.

Amen.

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