Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, …
Wochenbrief 3
Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, …
… sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht.»
Liebe Schwestern und Brüder in Christus
Manchmal packt uns die Hoffnungslosigkeit: Die Nachrichten mit Bildern aus aller Welt, die Statistiken und Kurven mit den Ansteckungszahlen, die Prognosen von Medikamenten- und Materialknappheit, die Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft weltweit und bei uns… — nach einem «Online-Vormittag» kann es passieren, dass mir der Kopf schwirrt, und in der Herzgegend stellt sich ein beengtes, bedrückendes Gefühl ein. Es ist, als ob da gerade alle Kraft wegfliesst… — wie finde ich wieder ins Leben?
Eine Ärztin in einem grossen Schweizer Spital erlebt es so:
So Vieles ist jetzt anders hier auf der Intensivstation: Wir haben viel mehr Betten in den Räumen und die Station ist um den Aufwachraum, die chirurgische Überwachungsstation und den OP-Bereich erweitert worden. Überall sind Zonen ab- und eingegrenzt: Zonen mit infizierten Patienten und sogenannte „saubere“ Zonen, Bereiche zum Ankleiden und Ausziehen von Schutzmaterial, die Organisationszentrale und vieles mehr. Wir sehen keine Besucher*innen und Angehörige – und ich kenne viele meiner Kolleg*innen nicht mehr, weil sich das Personal vervielfacht hat. — Manchmal fühle ich mich fremd auf dieser Station, die mir eigentlich vertraut ist.
Und die Patienten. So viele mehr sind es jetzt. Fast schon „einer am anderen“. Fast alle in Narkose und an Beatmungsgeräte angeschlossen. Das ist eine Situation, wie ich und die meisten meiner Kolleg*innen sie noch nicht erlebt haben — und wir müssen neue Strategien finden. Zunächst einmal medizinisch natürlich, schliesslich ist es ein „neuer Virus“, über den wir noch lange nicht alles wissen. Dann auch organisatorisch: Wie mit dieser ungewohnten Situation umgehen…? Jeden so behandeln, wie ihm das gebührt, trotz der hohen Patientenzahlen. Und dann natürlich menschlich: Da muss jeder und jede die eigene Strategie finden, um mitfühlend zu sein und doch nicht unter der psychischen Last zusammenzubrechen.
Ich versuche das so: Ich mache mir jeden Tag mindestens einmal bewusst, dass dieser Patient, den ich jetzt gerade abhöre oder dem ich gerade einen Katheter lege, ein ganz besonderer Mensch ist mit einer Familie und Freunden, die ihn lieben, mit Lebensträumen und Lebensplänen. Ich versuche, ihn und seine Angehörigen spüren zu lassen, dass mir sein Wohlergehen am Herzen liegt — durch ein Handhalten oder ein paar persönliche Worte am Telefon. Und dann nehme ich auch wieder bewusst Abstand, indem ich abends, auf dem Heimweg, tief durchatme und mich einmal kräftig schüttle – quasi alles abschüttle und dann an meine kleine Tochter denke und voller Freude auf sie nach Hause laufe.
Und so finde ich doch wieder „das Gewohnte“ auf der Intensivstation, obwohl vieles dort jetzt so anders ist: Mich um die Menschen, die in einer extremen und sehr kritischen Phase ihres Lebens sind, kümmern und zu ihnen schauen – in erster Linie medizinisch und eben darin mitmenschlich.
«Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht» — so sagt der tschechische Autor und Staatsmann Vaclav Havel. Und er präzisiert: «Hoffnung ist die Fähigkeit, [hier und jetzt] für das Gelingen einer Sache zu arbeiten…» — und zwar (ich ergänze): «…von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller Kraft», wie es in 5. Mose 6,5 heisst.
Das ist es, woher der jungen Ärztin die innere Kraft zukommt für jeden neuen Tag im Spital und für jeden einzelnen Patienten. Das ist es, wozu Jesus uns einlädt, wenn er sagt (Lukas 17,21): «Das Reich Gottes ist mitten unter euch».
Das «Reich Gottes» und mit ihm die Hoffnung ist nämlich kein stabiler Zustand, sondern eher eine Bewegung. Vielleicht muss man es konjugieren wie ein Verb in der Gegenwart. Es kommt auf uns, indem Gott handelt.
Es gibt Menschen, die konjugieren «Reich Gottes» als Vergangenheit. Sie sagen: Ja, das war gestern, als alles besser war, die Kirchen sonntags gut gefüllt, nie fehlte es an Glaubenden.
Andere konjugieren «Reich Gottes» als Zukunft. Sie sagen: Das ist der Name der kommenden Zeit, wenn das menschliche Genie alle Probleme gelöst hat, wenn Weisheit jedes Vorhaben lenkt, wenn vielleicht Christus wiedergekommen ist.
Jesus selbst konjugiert «Reich Gottes» als dynamische Präsenz: Gott ist allezeit gegenwärtig. Nicht wir müssen zu ihm kommen, sondern er kommt und redet zu uns mit seinem Wort. Er tut dies auf seine Weise und gewiss nicht immer im Einklang mit unseren Erwartungen. Auch nicht wie eine Antwort auf unsere drängenden Fragen. Doch er wirkt wie eine Gegenströmung: Verborgen unter allem, was wir in Geschichte und Gegenwart als Menschlichkeit und als Unmenschlichkeit wahrnehmen.
Vaclav Havel sagt das so:
«Diese Hoffnung alleine ist es, die uns die Kraft gibt zu leben und immer wieder Neues zu wagen, selbst unter Bedingungen, die uns vollkommen hoffnungslos erscheinen.
Das Leben ist viel zu kostbar, als dass wir es entwerten dürften, indem wir es leer und hohl, ohne Sinn, ohne Liebe und letztlich ohne Hoffnung verstreichen lassen.«
Und ich verstehe:
Wenn mich die Hoffnungslosigkeit packt, bin ich mit meinen Gedanken überall, nur nicht hier. Und mit der bangen Frage: «Wie geht das aus?» bin ich im Dunkel und nicht im Licht der Gegenwart. Sobald ich zum Dialog mit GOTT erwache, stellt ER mich hinein in den weiten Horizont seiner Gegenwart. Und ich erkenne, ER ist da — und mit ihm die Kraft meines Hoffens.
Lutz Baar (*1946), Allee mit Rapsfeld