Güte und Wohlwollen bewahren
Impuls 2
Güte und Wohlwollen bewahren
Was wir häufig und mit Hingabe tun, prägt unsere Sicht des Lebens ebenso wie das, was wir nicht beachten und wovon wir nichts wissen. Die Art und Weise, wie wir unsern Alltag leben, bestimmt darüber mit, wie wir den Alltag sehen und beurteilen. Das gilt in allen Bereichen des Lebens.
Wer am Morgen «mit dem linken Bein zuerst» aufsteht, wie das Sprichwort sagt, hört den ganzen Tag nicht auf, das Negative zu suchen, zu mäkeln, andere herabzusetzen und miese Stimmung zu verbreiten. Das Sprichwort berichtet davon, wieviel davon abhängt, auf welche Seite des Lebens wir uns stellen. Die «linke Seite» ist in unserem Teil der Welt die schlechte, die des Unglücks. Tatsächlich ist das nichts als Aberglaube und dazu ein sprachliches Missverständnis. Nur weil «rechts» wie «richtig» klingt, muss «links» nicht zwangsläufig «falsch» sein…
Wahr und überprüfbar ist freilich, dass die «Brille», durch die wir unsern Alltag betrachten, ganz wesentlich dafür verantwortlich ist, was wir sehen und begreifen können. Jesus Christus, wie er sich im Johannes-Evangelium an uns wendet, lädt uns ein, mit dem Blick der reinen Güte dem Leben zu begegnen (Johannes 15,9–11):
9 Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!
10 Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich immer die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe.
11 Ich sage euch das, damit meine Freude euch erfüllt und eure Freude vollkommen ist.
Es ist eine Art «Gleitsichtbrille», die uns hier angeboten wird. Man kann mit ihr in die Weite schauen und in die Nähe — und in jeder Distanz klare Sicht bekommen. Und darüber hinaus können wir mit dieser Brille scharf unterscheiden zwischen dem, was uns entgegengebracht wird von anderen Menschen, und dem, worin wir seit unserem Eintritt ins Leben sind.
Die Ermutigung Jesu, unter allen Umständen in der Liebe zu bleiben, die er uns von Gott her anträgt, erklingt ursprünglich in einer Situation von Streit, Entzweiung, Herabsetzung und Ausschluss.
In solchen Zusammenhängen droht uns doppelt Gefahr: die Feindschaft von aussen und dass wir uns innerlich davon so manipulieren lassen, dass wir Böses mit Bösem zu bekämpfen versuchen; dass wir uns aggressiv in einen Kampf einlassen, um der Niederlage zu entkommen — oder auch nur, um die demütigende Enttäuschung abzureagieren. In beiden Fällen haben wir uns vereinnahmen lassen von Bösem. Und ohne es zu wollen, vermehren wir bei solchem Kampf das, was uns gegen unsern Willen aufgedrängt wird.
Die Ermutigung Jesu ist ganz anders. Sie knüpft an dem an, was zuerst da ist: das Gute, die Güte, die Wahrheit, das Leben. Dort anzusetzen, wo wir herkommen: bei der unverdienten Liebe Gottes zu uns Menschen und bei seiner Freude am Leben — das öffnet uns den Blick dafür, dass niemand uns dessen berauben kann, was uns gegeben ist. Die Ermutigung Jesu, aus Güte zu handeln, bewahrt uns davor, bloss auf die äusseren Umstände reagieren zu müssen. Sie befähigt uns, souverän, angemessen und grossmütig zu agieren. Wir müssen nicht unbedingt — aus Angst, Trotz oder Verbitterung — mit den Mitteln des Bösen Widerstand leisten, um unsere Überzeugung durchzusetzen.
Weil wir aus Güte geboren sind, zur Freude unseres Schöpfers leben, seiner Liebe gewiss sind, können wir uns die Haltung Jesu zu eigen machen, die uns ermöglicht, trotz allem Schwierigen und Belastenden das zu bewahren und zu bewähren, was in uns mit dem ersten Atemzug zu leben begonnen hat: Liebe, Wohlwollen, Güte. Darin ist Gott gegenwärtig. Toll ist: Wir müssen nichts davon selbst machen. Es ist schon da, und wir können dafür sorgen, dass diese Liebe, diese Güte, dieses Wohlwollen sich in uns stetig entfalten.

Sr. Christamaria Schröter
Denn wir brauchen den klaren Blick, um zu erkennen, dass jene Behauptung, wir müssten uns um jeden Preis durchsetzen — stärker, härter, schlauer als andere sein — die folgenschwerste Verirrung menschlichen Denkens war und ist. Im 19.Jahrhundert entstanden «verdanken» wir solchem Denken die schlimmen Geisteskrankheiten des Rassismus und der Judenfeindschaft, die totalitären Ideologien von links und rechts, Völkermord, zwei vernichtende Kriege und die himmelschreiende Ungerechtigkeit einer Welt, in der immer weniger Menschen immer reicher und immer mehr Menschen an Leib und Leben bedroht sind.
Der Blick in die Welt lehrt es uns überdeutlich: Wir Menschen bedürfen der Güte und Liebe, um leben zu können. Sie zu vermehren, ist unsere Berufung. Gott beruft uns dazu, weil er seine Freude an uns wachsen sehen will.