Vom Grund der Freundschaft
Impuls 3
Vom Grund der Freundschaft
«Freunde fürs Leben» — so lautete die Überschrift über unseren Gottesdienst zur Konfirmation am vergangenen Sonntag. Sieben Mädchen und Jungen aus unserer Kirchgemeinde haben ihren Glauben «konfirmiert», bestätigt und bekräftigt. Sie haben Ja gesagt zu einem Leben im Horizont der Gegenwart Gottes, der sie als seine Freundinnen und Freunde wahrnimmt und anspricht.
Zwischen Menschen nennen wir «Freundschaft» die Beziehung zwischen Gleichgestellten, die sich auf Augenhöhe begegnen, die mit offenem Blick einander anschauen und sich füreinander ohne Furcht öffnen. Freundschaft ist so auch gleichbedeutend mit Vertrauen. Dass dies Grundlage und Voraussetzung für ein Zusammenleben ohne Ängste ist, versteht sich von selber. Von Geburt an sind wir Menschen auf solche Freundschaft angewiesen, auch wenn sie uns am Beginn des Lebens geschenkt werden muss, ehe wir sie selbst andern gewähren können.
Der das menschliche Miteinander fein wahrnehmende und deutende Bernhard von Clairvaux (1090–1153) hat als Grundlage für derartiges menschliches Miteinander jene Liebe erkannt, die Gott uns Menschen in seinem Sohn Jesus Christus anträgt: er nennt sie ein «Mass ohne Mass», eine Liebe ohne Bedingungen und Voraussetzungen. Das klingt in den Ohren jedes Menschen, der sich um sich sorgt, fantastisch – und ist doch keine Fantasie, kein flüchtiger Traum, sondern der Boden, auf welchem wir werden, wachsen und uns entfalten können. Freundschaft ermöglicht uns, miteinander zu leben: ebenbürtig, souverän und selbstverantwortlich aufeinander bezogen.
Allein können wir dies nicht — Freundschaft und Liebe gibt es nur zu und mit Anderen: in Beziehungen, in die wir uns selber ohne Sorge, ohne Absicherungen, ohne Bedingungen einbringen können. So gesehen wurzeln Freundschaft und Liebe stets in Hingabe. Sie ist das direkte Gegenteil von Herrschaft und Macht. Aber sie ist auch die grösste Kraft, zu der Menschen fähig werden können.
Das Johannes-Evangelium übermittelt uns bis heute Jesu Einladung zu solcher Freundschaft. Es beschreibt, wie — inmitten von Ablehnung, Bedrohung und Unsicherheit im Blick auf die eigene Zukunft — eben dieses Miteinander Menschen, die auf Jesus hörten, zu einer von Selbstverantwortung geformten Gemeinschaft hat werden lassen.
Übersteigt solche freie und offene Bejahung der anderen Menschen nicht unsere Kräfte? Die Frage ist berechtigt. Sie öffnet uns für die Einsicht, dass wir nicht in irgendwelchen Ethnien, Sprachen oder gar «Rassen» verwurzelt, sondern in der bedingungslosen Liebe Gottes verankert sind und so den auch stürmischen Bedingungen des ganz praktischen, alltäglichen Lebens standhalten können.
Wer in der voraussetzungslosen Liebe Gottes verankert ist, die in Jesus Christus anschaulich geworden ist, sieht den andern Menschen in dieser Liebe und gestaltet aus ihr seine Beziehung zu ihm. Christinnen und Christen handeln nicht so, weil sie von aussen dazu genötigt werden, sondern weil sie von innen heraus nicht anders können. Keine Berechnung nach Vorteil und Nachteil, kein Abwägen nach Gewinn, Risiko und Verlust, sondern das Wissen um den Grund, in dem der eigene Lebensanker Halt gefunden hat.
Wenn Jesus sagte: «Einander zu lieben — das ist das Gebot, das ich euch gebe» (Johannes 15,17), so ist das nicht wie ein von aussen auferlegtes Gesetz zu verstehen, sondern vielmehr Ausdruck der eigenen, innersten Not-Wendigkeit, in der bedingungslosen Liebe Gottes bleiben zu wollen. In solcher Haltung passiert das Erstaunliche: dass nämlich die eigene Furcht und Angst verwandelt wird, so dass wir als freies Gegen-über ganz da sein können und einander ganz gegenwärtig und unvoreingenommen begegnen.
Dass es bis heute Frauen und Männer gibt, die sich Christinnen und Christen nennen und aus der Verbundenheit mit dem Menschensohn leben, ist die kostbare Frucht, die da gedeiht, wo Menschen Kränkung und Schmerz, Angst und Furcht vor neuem Verletzt-Werden nicht zum Anlass nehmen, mit den Mitteln, die ihnen Leid zugefügt haben, zu reagieren und sich scheinbar selbst zu behaupten, sondern den Weg wählen, der viel mehr Reife, Selbstverantwortung und Souveränität fordert: den Weg, auf dem wir zuerst bei uns selbst aufräumen.
Diesen Weg müssen wir bahnen lernen, um nicht von immer neu sich auftürmenden Wogen der Angst und Verzweiflung überwältigt zu werden, sondern uns der unbedingten Liebe neu bewusst zu werden, die uns hält und einen Grund gibt, in dem wir Anker werfen können. Von dort aus wird die «Liebe ohne Mass» zur verändernden Kraft da, wo wir konkret und gegenwärtig leben.
Unseren Konfirmierten wünschen wir, sich jederzeit dieser grund-legenden Liebe zu vergewissern und ihre Schritte im Horizont und auf dem Boden dieser Liebe zu gehen, so dass sie «Freunde fürs Leben» werden und bleiben.
In diesem Sinne wünschen wir den Neu- und den schon länger und lang Konfirmierten behütete und gesegnete Ferienwochen und verbleiben in Freundschaft verbunden
eure
Andrea Sterzinger, Pfarrerin
Fredy Berger, Kirchgemeindepräsident