Ein Stückchen «Bauhaus»-Geschichte und eine biblische «Hausbau» .…
Wochenbrief 10
Ein Stückchen «Bauhaus»-Geschichte und eine biblische «Hausbau» .…
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben
Welche innere Einstellung leitet unser Handeln? Das ist eine unverzichtbare Frage, wenn wir, zum Beispiel in Krisenzeiten, gemeinsam Wege suchen, um im Leben zu bestehen und uns zum Guten zu entwickeln — für uns selbst und als Gemeinschaft. Dabei spielen seit 2000 Jahren biblische Geschichten eine wichtige Rolle: Im Weitererzählen lernen wir Verhaltensweisen früherer Generationen kennen und erfahren zugleich Möglichkeiten, wie wir uns heute orientieren können. Eine derartige Erzählung ist jene vom Bau des grossen Turmes in Babel. In ihr wird sichtbar, wie menschliche Selbstüberschätzung in die Irre führt und bedrohlich werden kann.
»Nach uns die Sintflut!«, riefen die Menschen vor der Flut — und nach der Flut machen sie fröhlich weiter, wie vor der Flut, und rufen erneut: »Nach uns die Sintflut!« Erst waren es die Töchter des Menschen, die Super-Kinder gebären wollten: nur die Besten, Schönsten, Kräftigsten sollten die Zukunft bestimmen (1. Mose 6,1–4). Und nun sind es die Söhne, die auf eine gefährliche Grenzüberschreitung zusteuern (1. Mose 11,3–4): »Wohlauf, lasst uns Lehm streichen und Ziegel brennen! Wohlauf, lasst uns eine Stadt mit einem Turm bauen, dessen Spitze bis zum Himmel reicht, auf dass wir uns einen Namen machen! Das gibt uns Zusammenhalt, sonst werden wir zerstreut über die ganze Erde.«
Während die Söhne fürchten, ihre gewohnte Gemeinschaft könnte sich auflösen, ist es umgekehrt gerade Gottes Absicht, dass sich Völker auf der Erde verteilen, um sie urbar und bewohnbar zu machen. Doch den Söhnen fehlt der Mut zu Eigenständigkeit und Freiheit, lieber verschanzen sie sich in einer Stadt mit Mauer und Turm. Denn nützlich schien, was ihnen vertraut war: »Die Söhne der Menschen aber kannten nur eine einzige Sprache, die von allen gesprochen wurde« — in diesen Worten liegt der verführerische Klang von Heimweh und Sehnsucht nach den Tagen von einst: »So gut war es doch früher! Jetzt ist alles anders!« Was war passiert?
Die Söhne der Menschen haben ihr Menschenmass überschritten. Sie stürmten den Himmel. Sie versuchten, Gott auszustechen: »Wohlauf, lasst uns…« In ihrem von Angst genährten Hochmut wollten sie nicht länger daran erinnert werden, wem sie alles verdanken; viel lieber wollten sie selbst (wie) Gott sein. So bauten sie die Stadt »Babel« — die »Pforte Gottes«. Ihre Stadt sollte der Mittelpunkt der Erde sein, das Herz des Weltalls. Im Zentrum ihrer Stadt sollte sich ein Turm so hoch wie der Himmel erheben. Nur wenige Augenblicke noch und sie würden durch die Himmelspforte eintreten und sich an die Stelle des Höchsten setzen!
Und Gott sah’s sich von oben an, mit wachem Blick. Und er sah Anmassung, törichte Arroganz, Angst. Respekt, Achtung, Vertrauen — all das war verschwunden. »Und das ist erst der Anfang! dachte Gott. Sie sind wirklich zu allem fähig, die Menschenkinder! Gleich kommen sie auch noch hier herauf! Wohlauf, lasst uns hinabfahren und dafür sorgen, dass sie in verschiedenen Sprachen reden und einsehen müssen, dass sie einander nicht verstehen.«
Schelmisch klingt das: »Wohlauf…« Gott äfft die Menschen nach! »Wohlauf, lasst uns hinabfahren und ihr Gebilde aus der Nähe betrachten…« Das Mammutprojekt der menschlichen Selbsterhöhung war vom Himmel aus tatsächlich kaum zu sehen. Gott musste hinabsteigen, um zu sehen, was es genau darstelle.
Babel mag zwar auf babylonisch »Pforte Gottes« heissen, in den Ohren Israels, das diese Geschichte im Exil kennenlernte, klingt es eher wie das Wort Verwirrung. »Pforte Gottes? Gebabbel, meinst du wohl!«, spotteten die Deportierten. Im Exil lassen sich die Kinder Israels von Babels Mammut-Bauwerken nicht beeindrucken. Sie wissen, dass es Machwerke eines verbrecherischen Staates sind, der scheinbar Frieden (eigentlich aber angsterfülltes Schweigen) stiftet, indem er Völker unterwirft; der oberflächlich Einheit (eigentlich aber tiefes Misstrauen) schafft, indem er Widerstand blutig niederschlägt. Bei Gott, das kann keine Stadt sein, wie sie der Schöpfer vor Augen hatte, als er Adam und Eva erschuf und als er Noah und den Seinen festen Grund unter den Füssen gab!
»Und sie hörten auf, die Stadt zu bauen, und wurden von dort in alle Länder der Erde zerstreut« — denn Gott will die Vielfalt des Lebens, nicht beengende, ausgrenzende und alle Lebendigkeit verhindernde Einheit. Solche »Einheit« – dafür kennen wir unzählige Beispiele in der Geschichte – war und ist immer nur durch Grössenwahn und brutale Machtausübung zu halten. Auf Kosten Einzelner. Auf Kosten der Menschlichkeit.
Der Schweizer Maler und Kunstpädagoge Johannes Itten (1888–1967) — und mit ihm die gesamte Bauhaus-Kunst der 1920er und 1930er Jahre — steht für die Vielfalt und Buntheit des Lebens. Seine Bilder zeigen die je eigene Wirkung von Farbe, Form und Materialien und führen in eine bis dahin nicht gekannte Freiheit — weder in der Kunst noch in anderen Lebensbereichen der Menschen. Folgerichtig wurde solcherlei Ausdruck von Lebensfreude und Lebensvielfalt von denen als störend, ja, als »entartet« bezeichnet und getilgt, deren Ziel es war, das Leben in Staat und Gesellschaft zu vereinheitlichen und mit ihrer einförmigen Art des Denkens »gleichzuschalten«. 1933 wurde das »Bauhaus« von den Nazis zur endgültigen Selbstauflösung gezwungen.
Geschehen ist genau das Gegenteil: die Bauhaus-Ideen wurden über die ganze Erde verbreitet. Viele Bauhausmitglieder emigrierten aus Deutschland nach Ost und West: nach Russland und Asien, Nord- und Südamerika — und trugen so zur internationalen Verbreitung dieser kreativen Kunstschule bei.
Johannes Itten ging zunächst in die Niederlande. Kurz vor seiner geplanten Weiterreise in die USA erhielt er den Ruf an die Kunstgewerbeschule Zürich, die er bis 1954 als Direktor leitete. Die Bauhaus-Kunst gilt als Avantgarde der Klassischen Moderne auf allen Gebieten der Kunst und Architektur und wirkt bis heute weiter.