Die Mitte verorten wir dort,
wo …
Wochenbrief 12
Die Mitte verorten wir dort,
wo …
Von Gott geliebte Schwestern und Brüder
Einen Brief von der Liebe will ich Euch schreiben zum Abschluss dieser Reihe der Wochenbriefe und zum Höhepunkt des kirchlichen Festjahres: Zu diesem Sonntag, der den Namen «Trinitatis» (Dreieinigkeit) trägt. Anders als wir es wohl spontan sagen würden, sind weder Weihnachten noch Ostern noch Pfingsten die höchsten christlichen Festtage. Es ist vielmehr dieser erste Sonntag nach Pfingsten, der die Reihe der Kirchenfeste abrundet. Zugleich hält er uns Menschen die Tür offen, damit wir selbst das Leben zum Raum der Liebe gestalten. Sichtbar werden soll, was unserem Sein und Tun Raum und Zeit schenkt: Gott und sein bedingungsloses Lieben. Wie kann das gelingen?
Der hohe Feiertag will uns zum Staunen bringen. Wir hören aufmerksam, was im Johannes-Evangelium ganz präzis ausgesprochen wird: Gott liebt diese Welt — er hat sie schon geliebt, ehe er sie erschuf, und er liebt sie auch heute und morgen. Gott liebt diese Welt und die in ihr leben — nicht weil sie so liebenswürdig sind, sondern weil Gott selber Liebe ist (Johannes 3,16). Gott liebt die Menschen nicht, weil sie so schön und grossherzig sind, haben sie doch Seine Gegenwart abgelehnt und versuchen sie immer wieder, ohne Ihn zu leben (Johannes 1,10)
An diesem Sonntag vergewissern wir uns, dass Gott bis heute nicht aufgehört hat, uns aus Liebe nahe zu sein: aus Liebe erschafft Er die Welt, nicht nur einmal in früher Vorzeit, sondern immer und unablässig neu ruft er ins Leben. Aus Liebe hat Er sein Volk aus Unterdrückung und Ausbeutung (in Ägypten und der Verbannung in Babel) heimgeführt in die Freiheit. Aus Liebe hat Er seine Anleitungen zu einem guten Leben gegeben (die Zehn Gebote, die das Leben jedes und jeder Einzelnen beschützen). Aus Liebe ist Er in seinem Sohn Mensch geworden und teilte selbst die schrecklichsten Formen menschlicher Missachtung und Gewalt. Aus Liebe verbindet er uns durch Seinen Geist mit sich.
Wir hatten so viele Gelegenheiten zu begreifen: Liebe ist ihrem Wesen nach Beziehung — ebenso wie Glaube im Wesentlichen Beziehung ist. Gottes Beziehung zu uns ist Sein Lieben, unsere Beziehung zu Ihm ist unser Hören und Glauben. Seine Liebe und unser Glauben stiften einen Raum, in dem Furcht nicht aufkommt. Und er gibt uns Seinen “Geist”, den Lebensatem Gottes, damit wir uns zu Ihm in Beziehung setzen können: Damit wir in unserer Sprache Gott ansprechen und gewiss sein können, erhört und verstanden zu sein.
Was für ein Wunder des Lebens: Gott selber ist Beziehung und macht uns beziehungsfähiger, als wir es für uns allein je könnten. Wo Gott ist, ist Raum zum Leben, in dem niemand übersehen wird, niemand vergessen wird, niemand mächtiger sein muss als andere. Kein Wunder nennt die Hebräische Bibel, das Alte oder Erste Testament, Gott auch «maqom», das heisst «Ort der Gegenwart des liebenden Gottes». Kein Zufall, nennt Hagar, die Magd Saras, die ausgestossen in der Wüste von einem Boten Gottes gesucht und gefunden wird, ihren Gott «El-Ro’i»: «Gott sieht mich». Ihrem Sohn, dem wie sie Verstossenen, gibt sie den Namen «Jischma’el»: «Gott hört». Und die Quelle, an der sie vom Gottesboten eingeholt worden ist, nennt sie «Brunnen des Lebendigen, der mich sieht» (1.Mose 16, 7–15).
Gott — so erfährt es Hagar, so haben es unzählige Menschen seither erfahren — «der Lebendige» hört und sieht auch dann sehr genau, wenn wir nichts von ihm spüren und befürchten, Er sei uns abhandengekommen.
«Gott ist Beziehung», haben die Christen der ersten Generationen schon begriffen. Und deshalb haben sie nach Begriffen gesucht, mit denen wir einander immer wieder daran erinnern, dass Gott selber nicht «ein-fältig», sondern «drei-faltig» ist: «Vater» (Schöpfer des Lebens), «Sohn» (Versöhner) und «Geist» (Vollender). Das sind die Qualitäten, die das Leben braucht, um sich entwickeln und entfalten zu können.
«Gott in Bewegung» könnten wir das auch nennen. Gott in drei «Personen», sofern wir verstehen, dass wir erst Person sind, wenn durch uns hindurch die Stimme Gottes so erklingen will, dass wir mit den uns Nahen und selbst mit den uns Fernen in Beziehung kommen können. So wie Gott in sich lebendige Beziehung ist und sich bewegt: uns entgegenkommt und uns nachgeht — so können auch wir zueinander und miteinander in Beziehung kommen und einander kennen und verstehen lernen.
Vielleicht hilft uns eine Rätselfrage, besser begreifen, wie Gott zugleich Einer und Drei sein kann:
Da ist ein Vater (eine Mutter) und der Sohn (die Tochter), wer ist älter? Dumme Frage, denken wir wohl unbedacht, die Eltern sind doch immer älter als die Kinder! Doch mit mehr Recht könnten wir auch sagen: Eltern sind niemals älter als ihre Kinder, werden sie doch erst durch ihre Kinder zu Eltern. Vor deren Geburt sind sie wohl Frau oder Mann, aber nicht Mutter oder Vater. Vielleicht kann man sogar denken: Eigentlich sind die Kinder älter, denn im Moment ihrer Zeugung sind sie schon da, ehe die Frau um ihr Muttersein weiss bzw. der Mann um sein Vatersein.
Erst durch ein Kind wird aus einem (Liebes-)Paar ein Elternpaar, erst durch ein Grosskind werden Grosseltern. Und wir alle werden in Beziehungen, in denen wir uns bejaht und geachtet entwickeln, zu den Menschen, die wir je sein können.
Ebenso ist es mit Gott als dem Drei-Einen». Keine der drei Personen Gottes, weder der Vater, noch der Sohn, noch der Geist ist für sich, was sie in Verbindung miteinander sind: Gott aus Liebe zu uns Menschen. Ohne die Beziehung, die der drei-eine Gott in sich lebt und uns schenkt, wären Menschen vielleicht auch da — im Zusammenhang des gewaltigen Universums wären sie, wären wir allerdings wenig mehr als Blütenstaub, der im Wind verweht.
Der Sonntag Trinitatis und die Botschaft von Gott als «Raum der Liebe» machen uns zu vollen Menschen, denen Ehre und Respekt gebühren: Unabhängig von Stand und Ansehen, Volkszugehörigkeit, Sprache und Geschlecht sind wir die Geschöpfe, mit denen Gott lebt und liebt in Ewigkeit. Und so stimmen wir ein ins «Loblied der Dreifaltigkeit» RG 239:
Gelobet sei der Herr, / mein Gott, mein Licht, mein Leben,
mein Schöpfer, der mir hat / mein Leib und Seel gegeben,
mein Vater, der mich schützt / von Mutterleibe an,
der alle Augenblick / viel Guts an mir getan.
Gelobet sei der Herr, / mein Gott, mein Trost, mein Leben,
des Vaters werter Geist, / den mir der Sohn gegeben,
der mir mein Herz erquickt, / der mir gibt neue Kraft,
der mir in aller Not / Rat, Trost und Hilfe schafft.